Linkenpolitikerin übers Wohnen: „Neubau wird die Not nicht lösen“

Geldwäsche, Steuerprivilegien und ein vergesslicher Staat: Der deutsche Wohnungsmarkt hat einige Probleme. Caren Lay hat Lösungsvorschläge.

Eine Frau geht mit einem Kinderwagen vor Hochhäusern

In den 1960er Jahren ging Wohnungspolitik noch sozialer – selbst unter Konrad Adenauer Foto: J.H:Darchiner/FES

taz: Frau Lay, spielen Sie „Monopoly“? Oder ist das ein No-Go für eine linke Wohnungspolitikerin?

Caren Lay: Ich habe das als Kind ein-, zweimal gespielt. Es war aber nie mein Lieblingsspiel.

Warum greift der Titel Ihres Buches „Wohnopoly“ dieses Spiel dann auf?

Die Grundprinzipien von „Monopoly“, nämlich möglichst viele Immobilien zu erwerben und die anderen bankrottgehen zu lassen, das beschreibt eigentlich sehr genau die ungeschriebenen Gesetze unseres Wohnungsmarkts. Gleichzeitig habe ich während der Recherche gelernt, dass das ursprüngliche Spiel auch andere Spielregeln hatte.

geboren 1972, ist Diplomsoziologin, seit 2009 im Bundestag, seit 2016 mietenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke. Ende August erschien ihr Buch „Wohnopoly. Wie die Immobilienspekulation das Land spaltet und was wir dagegen tun können“ im Westend Verlag.

Ach ja?

Es gab früher zwei Varianten. Das eine war „Monopoly“, ich sage jetzt mal: die böse Variante. Und dann gab es die gute Variante, die hieß „Prosperity“. Dort mussten alle Spielerinnen und Spieler ihren Wohlstand gemeinsam mehren. Es ging nicht um Spekulation oder darum, die anderen auszustechen. Das wünsche ich mir auch für unseren Wohnungsmarkt: Wir brauchen mehr Gemeinwohl statt Profitgier. Die heutige Situation ist einer reichen Gesellschaft überhaupt nicht angemessen. Es betrifft ja nicht nur Obdachlose und Geringverdiener. Selbst Leute aus der Mittelschicht haben heute Angst, aus ihren Wohnungen zu fliegen.

In Ihrer Analyse der deutschen Wohnungspolitik schreiben Sie an einer Stelle, man könnte Konrad Adenauer heute fast als Sozialisten bezeichnen. Wieso das?

Das war auch für mich überraschend! Der Wohnungsmarkt war in den 1950er bis in die 1960er Jahre sehr stark reguliert. Und in ausgewählten Städten, in Hamburg bis in die 70er, in Westberlin bis in die Achtzigerjahre, gab es eigentlich das, was die Bewegung heute fordert: einen Mietenstopp oder Deckel für Altbauten. Wenn das heute jemand will, wird das gleich als linksradikal abgetan. Aber: Das ist kein sozialistisches Hexenwerk, das hat es alles schon mal gegeben.

Warum konnte Immobilienspekulation zu so einem großen Problem werden?

Seit Mitte der 1960er Jahre wurde der Wohnungsmarkt peu à peu dem Markt überlassen. Das war ein schwerer politischer Fehler. Dazu kam die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit, was im Interesse der privaten Wohnungswirtschaft erfolgte und auch den Rückgang im sozialen Wohnungsbau zur Folge hatte. Was aber viele nicht auf dem Schirm haben, sind die Steuerreformen unter Gerhard Schröder. Die haben erst dazu geführt, dass große internationale Fonds den deutschen Wohnungsmarkt geentert und in großem Maßstab Wohnungen der Kommunen aufgekauft haben.

Dass Investoren in den deutschen Wohnungsmarkt drängten, geht auf das Konto von Schröder. Der Verkauf der landeseigenen GSW in Berlin ist unter Rot-Rot passiert – ausgerechnet Parteien des linken Spektrums.

Genau. Eine rot-grüne Regierung hat die großen Konzerne auf den deutschen Immobilienmarkt eingeladen. Und die spektakulärsten Privatisierungen der Republik, in Dresden war es damals die Gagfah, in Berlin die GSW, sind mit Zustimmung der PDS passiert. Bei der Privatisierung der GSW hat die PDS damals geschlossen die Hand gehoben. Es gab keinen Widerstand im Parlament.

Privatpersonen sind die größte Vermietergruppe. Die öffentliche Debatte wird aber von bösen Immobilienhaien dominiert. Müsste man verbal etwas abrüsten, um die Mieterbewegung breiter aufzustellen?

Unbedingt. Wenn die Linke im Parlament einen Vorschlag macht, dann sagt die CDU gleich: Oma Else verliert jetzt ihr Haus. Aber Oma Else ist Teil von uns. Wir kämpfen auch für ihre Rechte. Wir müssen Teile der Mittelschichten für uns gewinnen, ohne an der Radikalität der Forderungen zu sparen. In Wien sind weite Teile der Mittelschicht ohne Umschweife für die Gemeinnützigkeit, weil sie selbst davon profitieren.

Professionelle private Wohnungsunternehmen haben nur einen Marktanteil von rund 12 Prozent. Wie konnten die eine solche Macht entfalten?

Die Macht der großen Konzerne besteht darin, dass man in vielen Städten und Regionen, wo Massenprivatisierungen stattgefunden haben, nicht um sie herumkommt. Das ist im Ruhrgebiet so, das gilt aber auch für Berlin oder Dresden. Sie halten die Marktmacht vor allem im Segment für Geringverdiener. Ihr Ziel besteht aber darin, möglichst hohe Dividende an die Aktionäre auszuschütten.

Dass börsennotierte Konzerne kein Interesse am Gemeinwohl haben, verstehe ich. Aber was ist mit dem Rest? Die Zahl der Sozialwohnungen sinkt seit Jahren. Wie konnte die Politik das zulassen?

Das ist die Gretchenfrage. Seit sechs Jahren sagen eigentlich alle Parteien, dass Wohnen die soziale Frage unserer Zeit ist. Selbst Horst Seehofer sagt das. Aber es ändert sich nichts.

Warum?

Die Bundespolitik hat vergessen, dass sie für Wohnungspolitik zuständig ist, und hat die Verantwortung dem Markt überlassen. Zweitens sind viele Mitglieder der politischen Klasse nicht in dem Maße von dem Mietenwahnsinn betroffen. Es spielt aber eine Rolle, welche Perspektive man auf das Thema hat. Hinzu kommt: Lobbyismus hat nicht nur Einfluss auf die Gesetzgebung, sondern auch auf den politischen Diskurs.

Wie meinen Sie das?

Vertreter der Immobilienwirtschaft werden von der Bundesregierung viel öfter eingeladen als Mieterverbände. Diese Treffen finden in Banken am Pariser Platz oder in teuren Hotels statt, nicht in der Hochhaussiedlung am Stadtrand. Deswegen setzen sich die Interessen der Wenigen auch in der Meinungsbildung durch. Zudem spielen Vorurteile eine Rolle. Manche Kommunen bauen lieber teure Lofts als Sozialwohnungen in der Hoffnung auf mehr Steuereinnahmen. Arme Menschen werden hingegen als Kostenfaktor betrachtet. Diese Ausgrenzung ist politisch gewollt.

Es heißt auch, im Immobilienbereich wird viel Geld gewaschen.

Deutschland gilt als ein Paradies für Geldwäsche! Unsere intransparenten deutschen Grundbücher sind quasi eine Einladung, Geld in Immobilien zu verstecken. Und: Bis heute kann man in Deutschland ein Haus mit Bargeld kaufen.

Das zumindest möchte die Ampelregierung ändern …

Hat sie aber noch nicht. Beraterinnen und Berater der Sparkassen haben mir von Fällen erzählt, dass sie monatelang eine Familie bei der Finanzierung unterstützt haben und kurz vor dem Notartermin kommt irgendjemand und stellt einen Koffer mit mehr Geld auf den Tisch. Wie im Film. Es ist gut möglich, dass das schmutziges Geld aus Waffen- und Drogenhandel oder Zwangsprostitution ist. Es gibt Schätzungen, dass bis zu 20 bis 25 Milliarden Euro im Jahr in Immobilien versteckt werden.

Finanzminister Christian Lindner hat angekündigt, stärker gegen Geldwäsche vorzugehen. Haben Sie sich bei ihm gemeldet?

Nein. Und ich habe ihn bisher nicht als einen Partner im Kampf der Mieterinnen und Mieter für bezahlbares Wohnen gesehen, sondern als jemanden, der ohne Umschweife die Interessen der Immobilienwirtschaft vertritt. Nichtsdestotrotz ist Geldwäsche ein wichtiges Thema. Ich warte mal den Gesetzesentwurf ab.

Die Regierung setzt vor allem auf Bauen, weniger auf Mieterschutz.

Das stimmt. Aber Neubau alleine wird die Wohnungsnot nicht lösen, die Spekulation mit Immobilien muss beendet werden. Und die guten Ansätze, wie die Wiedereinführung der Wohngemeinnützigkeit, scheinen eher zu einem Nischeninstrument zu verkommen. Sinnvoll wäre es, wenn wie früher in der Bundesrepublik 30 Prozent der Wohnungen oder wie in der Stadt Wien heute 60 Prozent der Wohnungen gemeinnützig sind. Wir müssen den Mut haben, wieder in den Markt einzugreifen und stärker zu regulieren.

Manche wollen es radikaler. In Berlin haben 59 Prozent für die Enteignung großer Immobilienkonzerne gestimmt. Die Linke unterstützt dieses Vorhaben.

Ich hoffe sehr, dass Berlin den Willen der Wähler nicht übergeht und die Vergesellschaftung auch umsetzt. Ich sehe aber noch zwei andere Möglichkeiten für den Bund.

Nämlich?

Zuallererst müssen wir den großen Konzernen und Fonds ihre Steuerprivilegien nehmen. Wir haben da völlig verkehrte Verhältnisse. Diejenigen, die das meiste aus den Mieterinnen und Mietern pressen, werden steuerlich belohnt. Das muss sich ändern. Zudem müsste man ihnen mit einem Mietendeckel die Möglichkeit nehmen, sich auf Kosten der Mieter zu bereichern.

Und das Zweite?

Es gibt einen interessanten Vorschlag von Wirtschaftsprofessor Stefan Klinski. Er fordert eine Art Genehmigungspflicht auf dem Wohnungsmarkt. Denn: Wer darf sich überhaupt an diesem Wohnungsmarkt beteiligen? Ich finde, dass Konzerne und Fonds nicht dazugehören, Wohnen ist ein Grundrecht. Man muss ihnen die Zulassung entziehen und ihnen eine Frist zum Verkauf einräumen. Es sollten nur Leute Grund erwerben dürfen, die hier ihren Hauptwohnsitz haben.

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