Münchhausen-Check Friedrich und die Einwanderer
Ab 1. Januar 2014 fallen für Bürger aus Bulgarien und Rumänien die derzeit noch geltenden Beschränkungen für den Zugang auf den deutschen Arbeitsmarkt weg. Das löst Befürchtungen über eine Armutseinwanderung aus dem Balkan aus.
Der Deutsche Städtetag sieht "erhebliche Probleme mit einem großen Anteil der zuwandernden Menschen aus Südosteuropa ". Oft komme eine Erwerbstätigkeit schon wegen der schlechten Ausbildung und fehlender Sprachkenntnisse nicht zustande. Zuwanderer versuchten "sich illegal Einkommen zu verschaffen, zu Dumpinglöhnen zu arbeiten oder der Prostitution sowie der Bettelei nachzugehen". Schlepper nähmen "gegen ein hohes Entgelt die Vorbereitung der Kindergeldanträge" vor.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will Abhilfe schaffen: "Wer nach Deutschland kommt, um hier Sozialhilfe zu kassieren, muss zurückgeschickt werden. "
Nachdem er bereits vor einem Jahr von der EU verlangt hatte, künftig die Grenzen wieder schärfer kontrollieren zu können, blockiert sein Veto nun die Aufnahme von Rumänien und Bulgarien in den Schengen-Raum. Die beiden Staaten seien "noch nicht reif" für eine Aufhebung der Grenzkontrollen, hören wir in der ARD-"Tagesschau" .
Menetekel eines "grenzenlosen Schmarotzertums"
Dem ZDF-"heute-journal" sagt er : "Ich glaube nicht, dass wir den Steuerzahlern in Deutschland sagen können: Ihr müsst zweimal zahlen - einmal über die Europäische Union, denn wir zahlen Milliarden in die Kassen der Europäischen Union, und ein zweites Mal über unsere Sozialsysteme."
Mit solchen Statements darf Friedrich auf Zustimmung rechnen: Einer Emnid-Umfrage zufolge wollen zwei Drittel der Bundesbürger die Zuwanderung aus EU-Ländern beschränkt sehen.
Zwar räumt Friedrich ein, dass "sehr viele Bürger aus Rumänien und Bulgarien zu uns" kämen, "um hier zu arbeiten, zu studieren...", und gegen diese hat er selbstverständlich nichts, "aber", so Friedrich , "es gibt eine bestimmte Zahl, die nur hierher kommt, um Sozialleistungen zu bekommen."
Der von CSU-Chef Horst Seehofer herausgegebene "Bayernkurier" malt dazu das Menetekel einer "massenhaften Einwanderung von Roma aus Südosteuropa in die deutschen Sozialsysteme " an die Wand, sozusagen ein "grenzenloses Schmarotzertum ".
Friedrich steht dem kaum nach. In seinem "heute-journal"-Interview belegt jede zweite Antwort bulgarische und rumänische Einwanderer mit Vokabeln wie: "Leistungsmissbrauch", "Betrug", "Dokumente fälschen" oder "lügen".
Was da beim öffentlich-rechtlichen Zuschauer hängenbleibt, möchte man Staatsministerin Maria Böhmer (CDU), die Beauftragte für Migration und Integration, fragen. Deren Motto: "Wir wollen Zuwanderer willkommen heißen."
Schließlich mischte sich Bundespräsident Joachim Gauck in die Debatte ein: Roma verließen ihre Heimat aus Not, "oft auch wegen aktueller Diskriminierung oder gar Verfolgung", um als EU-Bürger in Deutschland und anderen Staaten ein besseres Leben zu suchen. Wenn es "an einigen Orten" zu Konflikten komme, müsse das geklärt werden. Aber "eine ganze Gruppe von Menschen zu stigmatisieren und ihnen pauschal die Integrationsfähigkeit abzusprechen, setzt die unheilige Tradition jahrhundertealter Diskreditierung, Ausgrenzung und Verfolgung fort".
Die Faktenlage
Tatsächlich wanderten im Jahr 2012 so viele Ausländer nach Deutschland ein wie seit 1995 nicht mehr .
Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl um 15 Prozent auf nun 966.000. Dem gegenüber kehrten knapp 579.000 Ausländer wieder in ihre Heimat zurück. Das ergibt einen Wanderungsüberschuss von 387.000 Personen. Das klingt schon weniger dramatisch als 966.000.
Die Zunahme rührt überwiegend aus dem EU-Raum her, etwa aus Ländern, die von der Finanz- und Schuldenkrise betroffen sind. Die Anzahl der Einwanderer aus Spanien, Italien, Griechenland und Portugal wuchs gegenüber 2011 im Schnitt um über 40 Prozent. Auch Bulgarien (plus 14 Prozent) und Rumänien (plus 22,6) verzeichnen zweistellige Steigerungsraten.
In absoluten Zahlen gemessen, liegt Rumänien hinter Polen an zweiter und Bulgarien an dritter Stelle.
Zuzüge und Fortzüge von Ausländern nach Herkunft (2012)
Herkunfts- bzw. Zielland | Zuzüge | Fortzüge | Saldo |
Polen | 176.367 | 108.245 | 68.122 |
Rumänien | 116.154 | 70.470 | 45.684 |
Ungarn | 53.892 | 27.727 | 26.165 |
Bulgarien | 58.504 | 33.460 | 25.044 |
Griechenland | 34.109 | 12.139 | 21.970 |
Italien | 42.167 | 20.897 | 21.270 |
Spanien | 29.910 | 11.147 | 18.763 |
Russland | 17.740 | 8955 | 8785 |
China | 19.047 | 11.959 | 7088 |
Portugal | 11.762 | 5476 | 6286 |
Indien | 16.652 | 10.411 | 6241 |
Slowakei | 13.593 | 8460 | 5133 |
Frankreich | 15.581 | 10.458 | 5123 |
Serbien | 22.475 | 17.809 | 4666 |
UK | 12.161 | 7740 | 4421 |
USA | 20.507 | 16.740 | 3767 |
Österreich | 11.593 | 8977 | 2616 |
Bosnien | 10.980 | 8693 | 2287 |
Kroatien | 12.608 | 11.513 | 1095 |
Türkei | 25.414 | 27.329 | -1915 |
Den knapp 175.000 Zuzüglern aus Bulgarien und Rumänien, standen 2012 aber auch rund 104.000 Rückwanderer gegenüber, bleibt ein Nettozuzug von 71.000 Bulgaren und Rumänen. Zweifellos immer noch ein nennenswerter Einwanderungstatbestand.
Einen insgesamt positiven Wanderungssaldo gibt es erst wieder seit 2010. Noch 2009 sagten 13.000 Personen mehr "Ade" als "Hallo Deutschland". Das war bei einer ohnehin schrumpfenden Bevölkerung eine wirklich düstere Aussicht für unsere Sozialkassen.
Entsprechend verbucht das Bundesarbeitsministerium den positiven Saldo 2012 als "Riesengewinn" . Die neue Welle der Zuwanderer sei "jünger und besser ausgebildet als der Schnitt der Bevölkerung" und könne helfen, den hiesigen Facharbeitsmangel abzubauen.
Arbeitslosigkeit niedriger
Ob die "neuen" Einwanderer wirklich den Sozialkassen zuträglich sind, hängt davon ab, ob diese sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden können (oder wollen) oder eben nicht. Wie sieht das also für Bulgaren und Rumänen aus?
Aufschluss gibt die Antwort der Bundesregierung vom 26. April 2013 auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der Linken im Deutschen Bundestag bezüglich der "Haltung der Bundesregierung zum Umgang mit EU- Bürgerinnen und EU-Bürgern aus Rumänien und Bulgarien".
Danach waren im Dezember 2012 knapp 110.000 rumänische und bulgarische Staatsangehörige in Deutschland sozialversicherungspflichtig oder ausschließlich geringfügig beschäftigt, während sich die Arbeitslosenquote dieser Gruppe auf 9,6 Prozent belief. "Sie war damit", so die Bundesregierung, "signifikant niedriger als bei den Ausländern insgesamt (16,4 Prozent)."
Dennoch ist die Bundesregierung schlussendlich nicht der Auffassung, dass von der aktuellen Debatte über die Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien eine "Gefahr" ausginge, "weil es zum Wesen einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft gehört, über aktuelle Geschehnisse und Entwicklungen auch kontrovers und pointiert zu diskutieren".
Fazit: Bundesinnenminister Friedrich suggeriert, dass Zuzügler aus Bulgarien und Rumänien vor allem die Ausnutzung der hiesigen Sozialsysteme verfolgten. Das ist der vorliegenden Arbeitsmarktstatistik nach eine unzulässige Verallgemeinerung eines in einigen Städten punktuell aufscheinenden Problems.
Note: Ungenügend (6)