Digitale Reserve: Für eine neue Technologiepolitik in Zeiten der Krise

Die digitale Graswurzelrevolution kommt! Die Stunde der Pandemie ist auch die Stunde der freien Softwarentwicklung, von Plattformgenossenschaften und offenen Produktionswerkstätten mit hoch proprietären Technologien zur freien Benutzung.

Anfang der Woche machte ein Aufruf der Europäischen Kommission die Runde, dass kleine Produktionskapazitäten für den 3D Druck von medizinischem Equipment mobilisiert werden sollen. Übersetzt heißt das: Die gesamte Zielgruppe, die sich zuhause bislang Feinstaubmessgeräte selbst druckte oder eigene Roboter im 3D-Drucker des befreundeten Hackspaces oder FabLabs zusammenzimmerte, ist nun aufgerufen mitzutun gegen die Corona Pandemie.

Seit Jahren machen Programmierer*innen, Technologietüftler*innen und die Verteidiger*innen des freien Internets darauf aufmerksam, wie man mit freier Software und dem Zugang zu Technologien dafür sorgen könnte, dass irre teure Produkte lizenzfrei nachgebaut werden können.

Einfach gesagt: Es geht um die Vergesellschaftung von verfügbaren Technologien und um die Nutzbarmachung von Wissen, wie diese gesellschaftlich und solidarisch einsetzbar sind.

Die Digitalisierung hat von Anbeginn an die Frage gestellt, wieso technologische Anwendungen teuer bezahlt werden müssen, wenn sie eigentlich für alle zugänglich sein können; der Chaos Computerclub trifft sich mit jährlich mehr werdenden Besucher*innen zum Kongress in Leipzig und predigt seit Jahren genau das!

Bevor die EU-Kommission diesen Aufruf startete, stieß ich auf einen Artikel über einige Ingenieure in Italien, die halfen, als in einem Krankenhaus die Ventile für die Beatmungsgeräte ausgingen. Die überlebenswichtigen Geräte, die aufgrund der weltweiten Pandemie auf dem freien Markt nicht mehr zu bekommen waren, wurden von den Tüftler*innen kurzerhand selber produziert und an die Beatmungsgeräte angeschlossen: Mit 3D-Druckern.

Was sie zuvor davon abhielt, war sicher auch die Tatsache, dass Wissen in dieser Gesellschaft bisweilen nicht immer frei verfügbar, sondern hochgradig von Macht- und Verwertungsmechanismen durchzogen ist.

In dieser Situation wird der Irrsinn von Profitmaximierung, mindestens mit medizinischen Produkten, deutlich. Nun wird auch in unserem Alltag sichtbar, was es bedeutet, wenn Lebensrettung aufgrund von Lizenzen, Patenten oder Produktionszugängen nicht möglich ist. Es geht demnach auch um Technologiepolitik und Wissensökonomie im Internetzeitalter. Diese Frage stellt sich jetzt umso dringender und es ist wichtig jetzt eine Antwort zu finden, die den Zustand unserer Gesellschaft auch nach der Krise politisch neu sortiert.

Vor zwei Jahren lernte ich einen Alex kennen, der mir erzählte, er habe eine kaputte CNC Fräse abgestaubt und anschließend das System gehackt. Mit dem Gerät, das in der Regel zur Herstellung von Bauteilen oder Werkzeugen verwendet wird, könne er nun produzieren, was er wolle. Ihm ging es aber darum, diese extrem teure Technologie der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen; allein, es fehlte der richtige Raum und Rahmen dafür. Bis heute bin ich begeistert von dieser Begegnung.

Ob in einigen Tagen auch in unseren Krankenhäusern medizinisches Equipment knapp wird, wissen wir noch nicht. Um dies nach allen Möglichkeiten zu verhindern, müssen nun Menschen wie Alex mobilisiert werden. Sie sind dazu in der Lage, durch die Verfügbarmachung von Wissen soziale Infrastrukturen aufzubauen, die die Verwaltung in Zeiten der Krise unterstützen können. Es geht um die Vervielfachung von Wissen und Produktionszugängen, um so schließlich Menschenleben retten zu können.

Wir müssen die Krise auf vielen verschiedenen Ebenen bewältigen. Der Staat muss handlungsfähig werden, einerseits, und es müssen gesellschaftliche Ressourcen aktiviert werden, andererseits.

Jetzt muss beides zusammengebracht werden. Gerade in Berlin kann dies aufgrund der Dichte an Tüftler*innen, Erfinder*innen und Hacker*innen gelingen – allein– allein die Räume für diesen Wissensaustausch und die Zusammenarbeit müssen her. Das CityLab Berlin macht einen ersten Schritt und schaltet dieser Tage eine Plattform online, auf der das Wissen um digitale Möglichkeiten zusammengestellt werden soll um so bestehende Anwendungen sichtbar und nutzbar zu machen.

Wir alle müssen uns klarmachen, dass es viele Menschen gibt, die mit technologischem Wissen, Produktionskapazitäten und digitaler Infrastruktur dazu beitragen können, diese Krise zu bearbeiten. Viele von ihnen drängen schon seit Jahren darauf, dass man sie endlich einbezieht.

Es ist an uns, ob die großen monopolistischen Tech-Unternehmen, die zunehmend auch das Feld der Gesundheit für sich erschließen wollen, aus dieser Krise profitieren werden. Ihnen stehen Menschen gegenüber, die mit offenen Quellcodes Programme herstellen, die für konkrete Bedarfe veränderbar sind und mit denen in der jetzigen Situation passgenaue Geräte gebaut werden können. Auch die vielen Selbstbauwerkstätten, die jetzt von der EU-Kommission aufgerufen werden ihre Produktionskapazitäten zur Verfügung zu stellen, sind ihnen diametral gegenübergestellt.

Sie müssen jetzt zu Wort kommen und die nötige politische Unterstützung erfahren, damit Digitalisierung und smarte Technologien endlich zu gesellschaftlicher Selbstermächtigung und Teilhabe führen. Mit ihnen gilt es sich gegen die androhende Krise zu stemmen – jenseits von Lizenzen und Profitstreben.

Dieser Artikel ist in leicht modifizierter Version in der taz erschienen: https://taz.de/Neue-Technologien-in-Zeiten-von-Corona/!5670767/