Sarah Brockmeier und Philipp Rotmann arbeiten am Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin unter anderem zur deutschen und europäischen Außenpolitik. Rotmann verantwortet als stellvertretender Direktor am GPPi die Themen Frieden und Sicherheit. Gemeinsam haben die beiden Politikwissenschaftler gerade das Buch "Krieg vor der Haustür: Die Gewalt in Europas Nachbarschaft und was wir dagegen tun können" (Dietz-Verlag) veröffentlicht. Hier antworten sie auf einen Beitrag von Nora Müller auf ZEIT ONLINE ("Den Schuss nicht gehört"), die den Bereich Internationale Politik der Körber-Stiftung in Berlin leitet. Sie hatte unter anderem gefordert, Deutschland müsse zeigen, dass es dem Land ernst ist mit dem Anspruch, eine seinem wirtschaftlichen Gewicht angemessene internationale Rolle zu spielen.

Alle Jahre wieder: Zu Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz an diesem Freitag sind die Medien voll mit Beiträgen dazu, ob Deutschland seiner internationalen Verantwortung gewachsen ist. Fünf Jahre ist es her, dass der damalige Bundespräsident Joachim Gauck dort ungeduldig für eine engagiertere Außenpolitik warb und damit den meisten Experten aus dem Herzen sprach. "Wer aber die kleinsten Schritte für die besten hält", sagte Gauck damals, "wird kaum mithalten können mit dem rasanten Wandel der Bedrohungen". Wie recht er hatte. In den Wochen und Monaten nach seiner Rede überschlugen sich die Ereignisse: Ukraine-Krieg, Krim-Annexion, IS-Terror, Flüchtlingskrise, Jemenkrieg – und auch das Brexit-Referendum und die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten gehören auf diese Liste, denn dadurch sind Deutschland und Resteuropa noch stärker gezwungen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. 

Doch die Deutschen wollen das mit der Verantwortung einfach nicht verstehen, so lamentiert seitdem die Mehrzahl der Experten in Berlin. Das Argument stützt sich vor allem auf Umfragen: Nur vier von zehn Bürgerinnen und Bürgern sind für eine aktivere deutsche Rolle in der Welt, so berichtet zum Beispiel Nora Müller bei ZEIT ONLINE.

Deutsche sehen militärische Mittel differenziert

Doch das Problem sind nicht die deutschen Bürger, sondern ihre Politiker und Politikerinnen. Denn diese bleiben seit fünf Jahren eine überzeugende Antwort darauf schuldig, was das eigentlich heißt, "mehr Verantwortung" zu tragen und "unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand zu nehmen", wie es Bundeskanzlerin Angela Merkel 2017 im Truderinger Bierzelt gefordert hat. Wer seitdem die politische Debatte verfolgt, hat vor allem von einem Riesenstreit um die Verdoppelung der Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung gehört, jede Menge Probleme mit der Rüstung verfolgt und vielleicht am Rande mitbekommen, dass gemeinsame europäische Militärprojekte verabredet worden sind.  

Alles Militärthemen. Nun ist die Mehrheit der Deutschen eher skeptisch, was den politischen Nutzen militärischer Gewalt betrifft. 82 Prozent halten Friedensförderung für "lebensnotwendig", 70 Prozent fordern höhere Investitionen dafür, 85 Prozent unterstützen diplomatisches Engagement – doch nur 27 Prozent befürworten "Kampfeinsätze" als Mittel deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Wir Deutschen sind dabei durchaus differenziert: Leichte Mehrheiten tragen Ausbildungs- und Stabilisierungseinsätze, auch die Idee einer "europäischen Armee" und die Milliardenerhöhungen des Wehretats in den vergangenen Jahren werden unterstützt – nur die Zustimmung zu weiteren Erhöhungen in Richtung zwei Prozent bleibt gering. Angesichts der Dauerbaustellen im Verteidigungsministerium und in der Bundeswehr kein Wunder.

Wir kümmern uns zu spät um Krisen

Wer also Jahr für Jahr auf die inzwischen wieder sinkenden Zustimmungsraten zu "aktiver Außenpolitik" starrt, sollte die differenzierteren Befunde nicht aus den Augen verlieren. Die Befragten können nur bewerten, was sie sehen – und sichtbar ist vor allem das Militärische.

Es ist die Aufgabe der Spitzenpolitiker – der Kanzlerin, des Außenministers, der Parteivorsitzenden –, dem Land konkret zu erklären, wie es "sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen" kann. Das hat natürlich auch wichtige militärische Aspekte, doch die Deutschen sind zu Recht misstrauisch, wenn ihre Politiker nur über militärische Mittel wie Schiffe, Flugzeuge oder Panzer streiten, doch kaum etwas dazu sagen, was sie damit eigentlich erreichen wollen. Es fehlen ja schon dort die konkreten Vorschläge, wo bereits überwältigende gesellschaftliche Unterstützung besteht.

Zum Beispiel bei der Krisenvorsorge. Obwohl alle dafür sind, kümmern wir uns immer noch meist erst dann um Krisen, wenn es schon zu spät ist. Ob und wie schnell zum Beispiel der derzeit noch sehr einseitig regierte irakische Staat das Vertrauen aller Bevölkerungsgruppen gewinnt, könnte eine entscheidende Rolle spielen für die Bewahrung der brüchigen Ordnung im Mittleren Osten, so das Ergebnis einer noch unveröffentlichten Risikoanalyse des Global Public Policy Institute im Rahmen des EU-finanzierten Forschungsprojektes EU-Listco. Doch der "Islamische Staat" ist von den Bildschirmen verschwunden und schon erlahmt das politische Interesse. Was ist unser Ziel im Irak, und was machen wir mit den Hunderten von Millionen Euro für Stabilisierung und Entwicklung dort? Welche Rolle spielt die klitzekleine militärische Ausbildungsmission dabei?