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Leiharbeit neu regeln, weg mit Hartz IV

Im Wortlaut von Sahra Wagenknecht, Nürnberger Nachrichten,

Frau Wagenknecht, Sie waren jetzt vier Jahre lang Oppositionsführerin. In welchen Feldern haben Sie die Große Koalition ein bisschen vor sich hergetrieben?

Sahra Wagenknecht: Wenn man diese Legislatur noch einmal Revue passieren lässt, dann sind da zwar sehr viele Dinge schiefgelaufen, aber es gab auch ein paar soziale Korrekturen. Zum Beispiel, dass der Mindestlohn eingeführt wurde, oder dass bei der Rente zumindest für einen Teil der Beschäftigten etwas verbessert wurde. Ich bin fest überzeugt, dass das ohne unseren Druck nie geschehen wäre. Ich halte es für sehr wichtig zu verhindern, dass in der nächsten Legislatur die AfD drittstärkste Kraft wird, denn das wäre gleichbedeutend mit einem massiven Rechtsruck in diesem Land. Die Partei, die die größten Chancen hat, das zu verhindern, ist die Linke, weil wir in vielen Umfragen zumindest gleichauf mit der AfD sind. Wer einen Rechtsruck verhindern will, sollte der Linken also mindestens seine Zweitstimme geben.

Gesetzt den Fall, das gelingt nicht und die AfD wird doch drittstärkste Kraft im Bundestag. Was bedeutet das für die parlamentarische Demokratie in unserem Land?

Wagenknecht: Wenn es wirklich dazu käme, würde sich die politische Debatte extrem nach rechts verschieben. Weil die AfD handfeste Nazis mit ins Parlament bringen wird. Der Flügel von Björn Höcke, der auf Rassismus und völkische Pöbelei setzt, hat gute Aussichten, in der künftigen AfD-Fraktion die Mehrheit zu stellen. Ich finde, man sollte unbedingt verhindern, dass solche Typen in Zukunft als Erste auf die Kanzlerin antworten können. Ob die SPD ein Prozent mehr oder weniger kriegt, wird für die Politik der nächsten vier Jahre kaum eine Rolle spielen, der Rückstand zur CDU ist ohnehin nicht mehr einholbar. Wer dagegen die stärkste der sogenannten kleinen Parteien wird, das wird die künftige Politik mitbestimmen. Druck in Richtung höherer Löhne, besserer Renten und öffentlichen Wohnungsbaus macht nur die Linke.

Wahlforscher wollen herausgefunden haben, dass die AfD bei einem Teil ihrer klassischen Wählerschaft, nennen wir sie mal die „sozial Abgehängten“, wildert und ihnen Stimmen klaut. Wie kommt es dazu, und was können Sie dagegen tun?

Die AfD ist das Produkt der Politik der letzten Jahre, das Produkt einer extremen Verunsicherung. Viele, die über die AfD reden, reden immer nur über die Flüchtlingsfrage, aber das ist nur ein Aspekt. Ich denke auch an die Arbeitsmarktreformen und den Abbau des Sozialstaates: Es gibt immer mehr unsichere Jobs, Menschen haben Angst vor Altersarmut, es fehlt bezahlbarer Wohnraum — das Leben ist sehr viel unsicherer geworden. Und in dieser Situation, in der viele ihren Wohlstand mindestens als gefährdet empfanden, kam dann noch der starke Zuzug von Flüchtlingen, unter einer Regierung, die bis heute keinen Plan hat, wie sie die Integration von 900 000 Menschen bewältigen will. So wurde ein Nährboden geschaffen für die billigen Parolen der AfD. Es gibt in unserem Land viele Menschen, die sich seit Jahren von der Politik im Stich gelassen fühlen. Sie zweifeln an der Demokratie, weil sie merken, dass ihre sozialen Interessen von allen Regierungen der letzten Jahre ignoriert wurden. Letztlich kann man der AfD nur das Wasser abgraben durch eine Wiederherstellung des Sozialstaats und des sozialen Friedens. Die Menschen müssen ihr Leben wieder als sicher empfinden und das Vertrauen in die Politik zurückgewinnen.

Ihre Partei will ein Ende vom „Weiter so!“ und die Macht der Großen Koalition brechen. Aber man muss doch anerkennen: Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosigkeit schrumpft, die Beschäftigung wächst, die Staatsschulden scheinen zumindest konsolidiert. An welchen Stellschrauben wollen Sie drehen?

Vieles davon ist nicht unbedingt das Verdienst der Koalition. Dass die Staatsschulden gesunken sind, da kann sich (Finanzminister) Wolfgang Schäuble bei Mario Draghi (EZB-Präsident, Anm. d. Red.) und seiner Nullzinspolitik bedanken. Leidtragende dieser Entwicklung sind die Sparer. Sie verlieren viel Geld, weil die Zinsen mittlerweile unter der Inflation liegen. Was das andere angeht: Ja, die Wirtschaft in Deutschland brummt, die Gewinne sprudeln. Und dennoch hat sich die Zahl derer, die trotz Arbeit ein Einkommen unter der Armutsschwelle haben, binnen zehn Jahren verdoppelt. Jeder fünfte Job in Deutschland findet sich heute im Niedriglohnsektor. Letztes Jahr war jeder zweite neu abgeschlossene Arbeitsvertrag befristet. Leiharbeit und unfreiwillige Teilzeit boomen. Da muss dringend etwas geschehen. Die Gesetze, die diese Fehlentwicklung verursacht haben, müssen endlich korrigiert werden.

Blicken wir mal ins Ausland: Griechenland hat viele Sparvorgaben der Europäischen Union umgesetzt, aber quasi keine echten Reformen. Irland, Spanien, Portugal, sie alle kommen unterdessen aus den roten Zahlen, während in Athen nichts vorangeht. Sind Sie immer noch für einen Schuldenschnitt?

Die Auflagen wurden erfüllt. Die Regierung in Athen hat die Renten gekürzt, ebenso das Arbeitslosengeld, und die Löhne gesenkt. Aber genau das hat die Lage nicht verbessert, sondern verschlechtert. Was Griechenland bräuchte, wäre zum Beispiel eine Vermögenssteuer für die Superreichen. Das ist erschreckend: Die griechische Oberschicht ist während der gesamten Krise noch reicher geworden. Ich verstehe nicht, warum eine Vermögenssteuer nie zur Auflage gemacht wurde. Verwaltungsreformen wären sicher auch sinnvoll. In den anderen von Ihnen genannten Ländern ist die Krise auch längst nicht vorbei. Die Arbeitslosigkeit sinkt dort auch wegen der Abwanderung junger qualifizierter Fachkräfte, es wird wenig investiert, die Ungleichheit ist extrem gewachsen. Es gibt ganz viele, die abgehängt sind.

Nun mal ein paar Assoziativfragen, bitte nur mit einem Satz beantworten, wenn es geht.

Wagenknecht(lacht): In Ordnung.

Kim Jong Un?

Ein infantiler Diktator.

Donald Trump?

Ein unberechenbarer Präsisident, der uns mahnen sollte, endlich eine eigenständige Politik zu machen und uns nicht länger der Führungsrolle der USA unterzuordnen.

Der Euro für alle 28 EU-Staaten?

Ein fataler Vorschlag. Man sieht am Beispiel Griechenland, dass es nicht funktioniert, wenn Länder mit völlig unterschiedlichem Produktivitätsniveau und Entwicklungsstand in eine Währungsunion gezwängt werden.

Bedingungsloses Grundeinkommen?

Halte ich für falsch. Wir brauchen eine ordentliche Arbeitslosenversicherung anstelle von Hartz IV. Es ist doch skandalös, dass jemand, der sein Leben lang gearbeitet hat und dann mit Anfang 50 länger arbeitslos wird, um seine ganze Lebensleistung gebracht wird. Das darf nicht sein. Aber ich sehe keinen Grund, all denjenigen, die es überhaupt nicht brauchen, zusätzlich ein bedingungsloses Grundeinkommen zu bezahlen.

Zum Schluss ein kleines Gedankenspiel. Im nächsten Parlament werden neben Union und SPD mindestens vier weitere Parteien sitzen: die Linke, die FDP, die Grünen und die AfD. Rein rechnerisch könnte es für die Große Koalition und deren Mehrheit unter Umständen durchaus eng werden, dann bräuchte man neue Konstellationen. Wie sympathisch ist Ihnen Rot-Rot-Grün?

Wenn die SPD wieder eine sozialdemokratische Politik machen will, würden wir natürlich begrüßen, wenn es eine Regierungsalternative zu Frau Merkel gäbe. Die Hoffnung, dass die SPD ihren politischen Kurs verändert, gab es, als Schulz nominiert wurde. Aber die SPD hat leider in den Monaten danach sehr deutlich gemacht, dass sie an Niedriglöhnen, Rentenarmut, Leiharbeit und Hartz IV nichts Grundlegendes ändern will. Ich bin überzeugt, es gäbe jetzt andere Mehrheitsverhältnisse, wenn die SPD sich entschieden hätte, sich von der Agenda-Politik zu verabschieden und signalisiert hätte: Wir wollen wieder Politik für unsere Klientel machen — für Arbeitnehmer, für Rentner, für Arbeitslose. In den letzten Jahren hat die Partei Politik gegen die eigenen Wähler gemacht. Das rächt sich natürlich.

Nürnberger Nachrichten,